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by SRN2015 | in Business | 0 comments
Von Claudia Wilm-Reichwald und Michael Reichwald.
Als Berater, Coaches, Trainer und Moderatoren arbeiten wir in zahlreichen Weiterbildungs- und Beratungsprojekten in der Regel allein, als Frau oder Mann. Wenige Auftraggeber leisten sich den „Luxus“, uns gemeinsam, also als Paar für Projekte zu verpflichten.
Das Thema „Gender“ oder auch „Gender-Management“ rückt gegenwärtig zunehmend in den Fokus der Personalentwicklungsbestrebungen in Wirtschaftsunternehmen und öffentlichen Institutionen, wird jedoch aufgrund der „Sperrigkeit“ ebenso kontrovers diskutiert.
In unserer täglichen Arbeit begegnen wir immer wieder ganz bestimmten Reaktionen auf genderspezifische Aspekte. Zum Beispiel Einwänden zu Zahlenmaterial und wissenschaftlichen Studien über Geschlechterunterschiede und deren Auswirkungen auf Repräsentanzen der Geschlechter in Führungspositionen.
Da heißt es:
- „Frauen haben kein Interesse an Führungspositionen.“
- „Wenn Frau Führung und Macht wirklich wollte, würde Sie es schaffen.“
- „Ich habe kein Interesse die ‚blöden Machtspiele der Männer‘ mitzuspielen.“
- „Wenn Frauen die Dienstleistungshaltung bzw. Fürsorgebereitschaft zu Gunsten eigener Machtpositionen aufgeben, wird die Welt noch weniger angenehm.“
- „Ich will mich nicht mit Machtsymbolen wie großer Schreibtisch oder repräsentatives Büro umgeben, dass entspricht nicht meinem Weltbild.“
- „Der eigentliche Unterschied liegt nicht zwischen Mann und Frau sondern ist Typ- bzw. Charakterabhängig.“
Von wem stammt was?
Die Zuordnung der Aussagen zu den Geschlechtern fällt sicher nicht schwer, oder?
Beide Geschlechter sind sich in der Äußerung ihrer Bedenken und Zweifel gegenüber dem Thema Gender meist schnell einig. Sie reproduzieren aus ihrer geschlechtsspezifisch- unterschiedlichen Perspektive die üblichen Stereotype und Vorurteile als Abwehr- und Widerstandsform gegenüber gesellschaftlicher Ungleichheit, die einhergehen mit Schuldgefühlen, Ohnmachtsempfindungen oder auch Bevorzugungs- oder Benachteiligungserfahrungen.
Gleichzeitig wird hierdurch eine tiefere Auseinandersetzung mit den eigenen geschlechtsspezifischen Themenstellungen und Erfahrungen erschwert. Denn die Auseinandersetzung damit ist nicht nur politisch mit viel Anstrengung verbunden: Im Setting unseres Wirkens im Seminar ist sie gerade auch psychologisch anstrengend, da es um die Reflexion der eigenen Person und mögliche Verhaltensänderungen geht.
Diese zunächst einmal wertfrei zu betrachtenden normalen Widerstände gegenüber dem Genderthema können sich bis zu einem Tabu steigern. Sie sind tief unter der Oberfläche verborgen, gehören der Kategorie „Was nicht sein darf, kann nicht sein“ an und sind schwer an die Oberfläche der Bearbeitung zu bringen.
Warum ist das so?
Es gehört zu den Basiskompetenzen einer jeden Beraterin, jeden Beraters, dass Lern- und Entwicklungsprozesse nie gegen, sondern immer nur in voller Wahrnehmung und Akzeptanz des Phänomens „Widerstand“ stattfinden können.
Das Genderthema ist für die seit ewigen Zeiten unausweichlich existierende dramatische Aufspaltung in „Täter und Opfer“ geradezu prädestiniert. Die Männer sind dabei als die potenziellen „Täter“, die Frauen als die potenziellen „Opfer“ schnell „gecastet“. Doch in dieser „Zuschreibung“ und Polarisierung liegt eine große Gefahr. Selbst wenn uns jahrhundertelanges Patriarchat einen Beweis liefern möchte, dass es sich um keine subjektive Zuschreibung, sondern um objektive Tatsachen handelt.
Eine differenzierte Sichtweise in Richtung Verantwortungsübernahme von Täter- und Opfer-Anteilen bei beiden Geschlechtern ist notwendig, jedoch emotional deutlich anstrengender.
Durch die Polarisierung ist das Thema Gender für Frauen und Männer schnell „hochaffektiv“ aufgeladen und führt geradewegs hinein in die persönliche Betroffenheit von der frühen familiären Erfahrung über Schule und Ausbildung bis hin in die fördernden oder auch hemmenden Milieus der beruflichen Sozialisation in den Organisationen und Institutionen.
Männer und Frauen erleben im Seminar einen brisanten Emotionscocktail – bestehend je nach Geschlechterzugehörigkeit aus Schuldgefühlen, sowie Gefühlen von Ohnmacht, Machtmissbrauch, Manipulation, Benachteiligung, unberechtigtem Gewonnen- oder Verloren-Haben etc. Beide Geschlechter erleben in der Reflexion der Themen Männer – Frauen – Gender im Seminar innere Zustände, die abhängig vom persönlichen Reflexionsgrad von eher unangenehm bis sogar bedrohlich empfunden werden können. Widerstand gegenüber diesem, solche Gefühle auslösenden Reiz-Thema „Gender“ ist daher nicht nur versteh- und erklärbar, sondern geradezu eine notwendige Maßnahme der vordergründigen Identitätsstabilisierung als Mann oder Frau.
Über die „Abwehr“ und den „Widerstand“ wird jedoch eine wirkliche tiefer gehende Stabilisierung der Identität als Mann bzw. Frau verhindert. Diese ist jedoch die Grundvoraussetzung für eine Begegnung auf Augenhöhe beider Geschlechter zur gemeinsamen produktiven Erarbeitung der Potenziale, die Gender bieten kann.
Denn die Auseinandersetzung mit den jeweils eigenen Täter- und Opfer-Anteilen führt zu einer kritischen Reflexion der Polarisierung von einseitigen Täter-Opfer-Zuschreibungen. Folglich führt ein gelungenes Genderseminar dazu, dass die Teilnehmer für ihre eigene Haltung und für ihr eigenes gelebtes Verhalten als Mann oder Frau Verantwortung übernehmen können. Ohne die historischen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Entstehungszusammenhang in Hinblick auf die Geschlechterfragen und Geschlechtergerechtigkeiten zu ignorieren.
Unserer Erfahrung nach bedarf es hier im Seminar einer wohlwollenden und beide Seiten verstehenden und einfühlenden Haltung der Seminarleitung in die Seminar-TeilnehmerInnen und deren emotionale Aufladungen zum Genderthema. In Doppelmoderation ist diese Leistung deutlich einfacher zu erbringen.
Folgendes Praxisbeispiel aus einem Führungsseminar verdeutlicht dies.
Die TeilnehmerInnen waren aufgefordert sich in gemischten Gruppen mit unterschiedlichen eigenen, sie betreffenden Führungsthemen (Fallarbeit) auseinanderzusetzen. Als methodische Vorgabe (verkürzte Darstellung) galt es zunächst,
- ein Praxisbeispiel zu finden;
- die jeweiligen Situationen nur zu beschreiben, nicht zu lösen;
- einen Verstehens-Zugang auf Sach- und Beziehungsebene zu erstellen;
- nach Eruierung der Gesamtsituation und Analyse aller Aspekte gemeinsam Lösungswege zu erkunden.
Im Setting waren sogenannte Beobachter (Teilnehmer) eingesetzt, die den Prozess der Zusammenarbeit und Entwicklung von kollegialen Lösungen beobachten sollten.
In der Reflektion der beobachtbaren Zusammenarbeit wurden spannende Dynamiken deutlich.
- In einer Gruppe, bestehend aus zwei Männern und zwei Frauen, war schnell entschieden, dass die Männer kein aktuelles, sie betreffendes Führungsthema hatten. Die Frauen sollten doch ihre Themen/Fragen platzieren.
- Eine dieser Frauen stellte ihr Problem dar.
- Nach kurzer Schilderung der Situation durch die Frau erteilten die beiden Männer sehr engagiert Ratschläge, wie die Fragestellung anzugehen bzw. zu lösen sei.
- Die andere Frau kam kaum dazwischen und zog sich zurück.
- Es wurde kaum nachgefragt, die Lösungen wurden „fürsorglich aufgedrängt“.
- Die Frau, um deren Fall es sich handelte, machte im weiteren Verlauf den Beobachtern einen unverstandenen Eindruck und sagte in der Nachreflexion, dass sie mit der Lösung wenig zufrieden sei, da diese nicht zu ihrem Verhaltensrepertoire passe.
Nach Feedback durch die Beobachter und die Seminarleitung gab es bei den Beteiligten Reaktionen der Männer und der Frau, die von Betroffenheit über Rechtfertigung bis zu Nachdenklichkeit und schlussendlich „Erkenntnis nach Reflexion“ reichten.
Die Männer fühlten sich als „Täter“, die sich „bedeckt“ halten (sie hatten ja kein zu bearbeitendes eigenes Thema benennen können), die unsensibel und rein auf der Sachebene Lösungen durchdrücken wollten.
Die Frau fühlte sich als „Opfer“, das Bedürftigkeit signalisierte (sie hatte ein Problem benannt) und sich dann bedrängt und überrollt fühlte, sich jedoch auch gegen die „gut gemeinten“ Ratschläge z.B. durch Zurückweisung nicht wehren konnte.
Eine tiefere Reflexion des Verhaltens der Gruppenteilnehmer eröffnete durch wohlwollende und geschlechtsbezogene „identifikatorische“ Interventionen von Seiten der weiblichen und männlichen Seminarleitung einen Lerngewinn für die gesamte Seminargruppe:
- Der männliche Seminarleiter kannte aus eigener Erfahrung das Vorgehen, das die Männer in dem Beispiel gezeigt hatten.
- Die weibliche Seminarleiterin kannte das weibliche Vorgehen und Empfinden, das die Frau gezeigt hatte.
- Beide konnten wohlwollend, verstehend und aus eigener Vertrautheit mit dem gezeigten geschlechtsspezifischen Agieren auf die Seminar-Teilnehmer eingehen.
- Beide ermöglichten so Verstehens- und Reflexionszugänge, die geschlechtsspezifisch als überparteilich wahr- und vor allem angenommen werden können – ohne Verdacht, das eigene Geschlecht gegenüber dem anderen „retten“ oder „aufwerten“ zu müssen.
„Ja, ich verstehe Sie – ich kenne dies aus eigener Erfahrung als Mann oder als Frau.“
Das ist eine der tragfähigsten Brücken zum tiefen Genderverstehen und geht weit über den kognitiven Lerneffekt hinaus. Über das wichtige „Verstehen“ kommt es zum tieferen reiferen „Empfinden“.
Folgende Aspekte konnten u.a. in der Anschlussreflexion erarbeitet und besprochen worden:
- Warum fällt den Männern erst einmal kein Problemthema ein?
- warum war so schnell klar, dass die Männer keine Probleme haben?
- Wieso hat die Frau so schnell ihr Thema benannt, anstatt zu warten, bis den Männern möglicherweise doch ein Thema einfällt?
- Wieso hat sich die zweite Frau zurückgezogen?
- Haben die Männer nicht wahrgenommen, dass sie dominieren?
- Was hat die Frau dabei empfunden, sich zu „offenbaren“?
- Was haben die Männer dabei empfunden, „Macher“ zu sein?
- Warum haben die Männer so schnell die Situation lösen wollen?
- Warum ist es der Frau schwer gefallen bzw. nicht gelungen, zu sagen: „Hey, das geht mir jetzt zu schnell, ich will noch keine Lösung.“
Die angebotenen „identifikatorischen Interventionen“ seitens der Seminarleitung waren:
- nicht bewerten, sondern verstehen des Verhaltens und der Motive der Teilnehmer aus Frauen- und Männerperspektive
- besprechen der geschlechtsspezifischen Erwartungshaltungen und Zuschreibungen
- Abstand durch „humorvollen Umgang“ mit der beobachtbaren Dynamik.
Zitat Leiterin zum Leiter: „Kennst Du das irgendwoher…?“
Zitat einer Teilnehmerin: „Männer müssen es immer lösen, egal, ob die Frau das will oder nicht. Die Frau steigt dann innerlich aus und hat ihre Methoden entwickelt, sich in solchen Situationen zu retten.“
Selbst die Leitung eines Gender-Seminars als Paar beinhaltet immer auch diese Dimension der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Herangehensweise an Aufgaben- und Beziehungsfragen. Sie muss vom Trainerpaar, das auch noch Ehepaar ist, immer wieder über eine konstruktive Auseinandersetzung auf Augenhöhe und über das Nutzen der geschlechtsspezifischen Potenziale in Überwindung der Täter-Opfer-Polarisierung bewältigt werden. Dies dient dann den Männern und Frauen im Seminar auf einer Metaebene als Modell für gelungenes Agieren unter Genderaspekten und wird auch so im Feedback von Männern und Frauen artikuliert.
Die Doppelmoderation und Präsenz von Mann und Frau als Seminarleitung hilft, Widerstand und Tabuisierungen gegenüber „Gender“ zu verringern und erleichtert so den Zugang zum Thema.